Peter Hajek ist einer der renommiertesten und meistzitierten Forscher für Rauchentwöhnung und damit auch die E-Zigarette. Der britische Professor für klinische Psychologie ist Direktor des Wolfson Institute of Preventive Medicine’s Tobacco Dependence Research Unit an der Queen Mary University of London. Im Interview mit eGararage spricht er unter anderem über seine aktuellen Forschungsvorhaben, die Fehleinschätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO und die neue E-Zigaretten-Steuer in Deutschland.
Herr Professor Hajek, Sie sind der Hauptautor einiger der einflussreichsten Studien (eGarage berichtete) über die Risiko-Einschätzung von E-Zigaretten und deren Auswirkungen auf Raucher und die Raucherentwöhnung. Woran forschen Sie derzeit?
Wir schließen gerade den Analyse-Teil einer großen Studie über E-Zigaretten im Vergleich zu Nikotinersatzprodukten bei schwangeren Raucherinnen ab. Bei Nikotinersatzprodukten stand immer ein Fragezeichen beim Einsatz während der Schwangerschaft, da Nikotin selbst einige negative Auswirkungen haben kann. Dies wurde in Tierstudien nachgewiesen, allerdings unter Verwendung sehr hoher Nikotindosen. Aus den Daten vom Menschen geht nicht eindeutig hervor, dass Nikotin in den von Menschen verwendeten Dosen eine negative Wirkung hat. Dagegen gibt es sehr gute Belege dafür, dass Tabakrauch während der Schwangerschaft negative Auswirkungen hat. Nikotinersatzpräparate sind daher in großem Umfang für schwangere Raucherinnen zugelassen worden.
Was war dann die Forschungsfrage bezüglich Schwangerschaften und E-Zigaretten?
Wir wollten zwei Dinge untersuchen: Wie steht es um die Sicherheit von Nikotinersatzprodukten im Vergleich zu Nikotinpflastern, und welche Methode hilft schwangeren Raucherinnen besser bei der Raucherentwöhnung? Wir haben über 1000 Frauen rekrutiert, die Nikotinpflaster oder E-Zigaretten verwenden wollten. Wir stellten nur eine Starterpackung E-Zigaretten zur Verfügung, weiteren Nachschub mussten sie selbst kaufen. Anschließend haben wir die Nebenwirkungen, die Schwangerschaftsergebnisse, das Gewicht des Babys und andere Daten überwacht.
Wir sind gespannt auf die Ergebnisse. Die Schadensbegrenzung, die sogenannte Harm Reduction, ist ein Aspekt der E-Zigaretten. Untersuchen Sie auch den Gateway-Effekt, also die Frage, ob E-Zigaretten zum Rauchen verführen? Das wird ja immer wieder behauptet.
Ja, das ist in der Tat ein Thema einer anderen aktuellen Studie, die wir durchführen. Es ist eine sehr wichtige Frage: Sind E-Zigaretten ein Einstieg ins oder stattdessen ein Ausstieg aus dem Rauchen? Es gibt die Befürchtung, dass die Raucherquoten steigen, wenn E-Zigaretten verfügbar und legal sind. Das ist ein seit vielen Jahren zu hörendes Argument gegen E-Zigaretten. Wir haben vom National Institute of Health Research Mittel für eine internationale Studie erhalten, um Daten zu untersuchen, die einige Antworten auf diese Frage liefern können.
Wie gehen Sie dabei vor?
Wir untersuchen mehrere Datenquellen, um herauszufinden, wie sich der Konsum von E-Zigaretten auf die Raucherquote auswirkt. Wir schauen uns die Raucher- und E-Zigaretten-Nutzer-Quoten in Ländern, für die es gute Daten über die Prävalenz des Rauchens und die Prävalenz des E-Zigarettenkonsums in den letzten zehn Jahren gibt. Wir untersuchen auch Verkaufszahlen – und zwar nicht nur den Verkauf von Zigaretten und E-Zigaretten, sondern auch von Heat-not-Burn, und in Schweden von Snus, dem Oraltabak. Wir wollen die Entwicklung der Prävalenz und des Absatzes im Laufe der Zeit aufzeichnen.
Wie kontrollieren Sie, dass es wirklich einen kausalen Zusammenhang gibt und nicht nur unabhängige Entwicklungen?
Wenn eine Zunahme des Dampfens nicht mit einer Zunahme des Rauchens einhergeht, deutet dies darauf hin, dass das Dampfen nicht in großem Umfang zum Rauchen führt. Und: Wenn auf die zunehmende Beliebtheit des Dampfens regelmäßig ein Anstieg des Rauchens folgt, kann man davon ausgehen, dass das Dampfen zum Rauchen führt. Allerdings könnte es sich dabei auch nur um einen Zufall handeln oder um einen anderen, nicht kontrollierten Faktor. Bei den Analysen werden potenzielle Störfaktoren wie der Anstieg der Zigarettenkosten und die Umsetzung von Maßnahmen gegen das Rauchen kontrolliert. Aber Sie haben Recht, es könnte Störfaktoren geben, die wir nicht erfassen. Wir untersuchen deshalb auch eine Art natürliches Experiment, das zur Klärung der Frage beitragen könnte. Einige Länder haben die Verwendung alternativer Nikotinprodukte verboten, und wir planen, ihre Daten mit denen von Ländern zu vergleichen, in denen die Verwendung solcher Produkte erlaubt ist. So kann man am ehesten herausfinden, wie sich Alternativen zum Rauchen in der Realität auf den Zigarettenkonsum auswirken.
In welche Richtung deuten die Daten und Analysen bisher?
Australien, das E-Zigaretten verboten hat, hat traditionell eine niedrige Raucherquote, aber das Verbot scheint sich im Vergleich zu Ländern wie dem Großbritannien oder den USA auf eine weitere Reduzierung negativ ausgewirkt zu haben. Wir haben noch keine vollständigen Ergebnisse, aber wir sehen diese Richtung. In Südkorea und Japan ging der Anstieg des Absatzes von “Heat-not-burn”-Produkten, die dort sehr beliebt sind, mit einem Rückgang des Zigarettenverkaufs einher. Wir werden die Kausalität nicht eindeutig nachweisen können, aber Bevölkerungsdaten und Verkaufsdaten mit einem guten Analyserahmen sollten einige nützliche Anhaltspunkte liefern.
Wann wird die Studie zur Veröffentlichung eingereicht?
Wahrscheinlich im Juni oder Juli nächsten Jahres.
Qualitativ hochwertige Studien über die Wirkung von E-Zigaretten bei der Raucherentwöhnung scheinen sehr selten zu sein. Der wichtige Cochrane-Report listet nur wenige hochwertige Studien auf, darunter auch Ihre. Warum ist es so schwierig, gute Studien zu diesem wichtigen Thema durchzuführen?
Traditionell stammen viele Studien zu diesen Fragen der öffentlichen Gesundheit aus den USA, aber dort sind sie nicht erlaubt. Richtlinien verbieten es, die Wirkung von E-Zigaretten auf die Raucherentwöhnung zu untersuchen.
Warum ist das so?
Weil E-Zigaretten dort keine anerkannte Methode zur Raucherentwöhnung sind. Das klingt lächerlich, ich weiß. Ein weiteres Problem: Studien neigen dazu, E-Zigaretten mit Nikotin und E-Zigaretten ohne Nikotin zu vergleichen, um der Tradition zu folgen, eine Placebokontrolle durchzuführen. In diesem Fall ist dies praktisch sinnlos, da wir aus über 100 Studien zu Nikotinersatztherapien wissen, dass Nikotin den Rauchern hilft, mit dem Rauchen aufzuhören; und E-Zigaretten ohne Nikotin werden wahrscheinlich trotzdem eine gewisse Hilfe bieten, anstatt als Placebokontrolle zu dienen. Ein weiteres Problem ist die Vielfalt der Vaping-Produkte. In Studien wird oft ein Produkt verwendet, das nicht sehr nützlich ist, wie zum Beispiel Einweg-E-Zigaretten mit sehr geringer Nikotinabgabe.
Wie haben Sie dieses Problem gelöst?
Es gibt einen großen, gut entwickelten Markt für E-Zigaretten, und unser Ansatz war es, diesen zu nutzen. In unseren Studien erhalten die Teilnehmer ein nachfüllbares Standardprodukt, um den Umgang mit E-Zigaretten zu erlernen, und wir ermutigen sie dann, E-Liquids der Stärke und des Geschmacks zu kaufen, die sie mögen, oder selbst ein anderes Produkt zu erwerben. Das Forschungsgebiet macht darüber hinaus Fortschritte, einige gut konzipierte Studien sind in Arbeit. Cochrane hat mit einem “living review” begonnen, was bedeutet, dass alle Studien auf diesem Gebiet kontinuierlich überwacht werden.
In der EU, in Brüssel, sind zahlreiche Vorschriften für E-Zigaretten in Vorbereitung, zum Beispiel die TPD3, der Ausschuss zur Krebsbekämpfung im Europaparlament – BECA – und auch Mindeststeuerregelungen. Großbritannien hat die EU leider verlassen, aber was sollte die EU tun?
Wir haben einen sehr vernünftigen Ansatz für E-Zigaretten, aber leider gibt es in anderen Bereichen Probleme durch den Brexit. Dennoch bin ich froh, dass die EU-Vorschriften für E-Zigaretten im Vereinigten Königreich im Prinzip nicht mehr verbindlich sind, auch wenn sie noch nicht überarbeitet wurden. Es wäre gut, einige davon abzuschaffen, wie zum Beispiel den Nikotin-Grenzwert für Liquids und die Größenbeschränkung der Behälter sowie das Verbot der Behauptung, Dampfprodukte seien viel weniger schädlich als Zigaretten. Ich hoffe, dass die EU ihre Haltung zu E-Zigaretten und zur Schadensminimierung im Allgemeinen irgendwann ändern wird. Die derzeitigen Regelungen, die dem Dampfen feindlich gegenübersteht und schwedischen Snus verbieten, verschenken die Chance, die Raucherquote zu senken und die öffentliche Gesundheit zu verbessern.
Halten Sie die im Frühjahr beschlossene Einführung hoher Steuern auf E-Zigaretten-Liquids in Deutschland für vertretbar?
Die Steuer erhöht die Einnahmen des Staates, aber sie treibt die Ex-Raucher zurück zum Rauchen. Preis- und Steuerunterschiede sollten genutzt werden, um gesündere Entscheidungen zu fördern. Deutlich weniger schädliche Produkte sollten billiger sein als Zigaretten. Die Befürworter von Maßnahmen gegen das Dampfen stehen der Tabakindustrie oft sehr kritisch gegenüber, aber ihre Haltung zum Dampfen hilft der Tabakindustrie, indem sie den Zigarettenabsatz vor viel weniger riskanten Alternativen schützt.
Was denken Sie über die kritische Haltung der Weltgesundheitsorganisation WHO bezüglich der E-Zigarette?
Ich bin Mitunterzeichner eines offenen Briefes von 100 Wissenschaftlern an die WHO, die über ihre irrationale Haltung der gegenüber weniger riskanten Alternativen zum Tabak und die falsche Berichterstattung über die Wissenschaft besorgt sind. Die Angelegenheit stellt ein Reputationsrisiko für die gesamte Organisation dar. Angesichts der Bedeutung und Glaubwürdigkeit, die die WHO in der heutigen Welt hat, ist dies ein wirklich wichtiges Thema.