Leserbrief eines Händlers

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Oftmals muss man den Eindruck gewinnen, dass nicht immer die politisch Verantwortlichen ganz umfänglich informiert sind über die Auswirkungen ihrer Regulierungen – hier über die finanziellen Begehrlichkeiten durch das Tabaksteuermodernisierungsgesetz.




Deshalb baten wir den Schreiber eines Leserbriefes, selbst ein mittelständischer Großhändler aus dem Südwesten, Thomas Esterle, ob wir seine Zeilen an den Korrespondenten in Brüssel der Stuttgarter Zeitung, STZ, Markus Grabitz, vom 03. Juni 2021 veröffentlichen dürfen – so als „Tauchsiedermoment“ für Entscheidungsträger in Berlin.

Hallo Herr Grabitz,

ich habe ihren Artikel in der STZ gelesen zum Thema Einigung der Koalition über die geplante Steuererhöhung.

Um mich kurz vorzustellen, ich bin Geschäftsführer eines Großhandels für E-Zigaretten, und wir sitzen in Stuttgart Weilimdorf. Derzeit beschäftigen ca. 15 Mitarbeiter im Unternehmen. Die FEAL GmbH habe ich mit meinem Partner vor sechs Jahren gegründet, und wir haben klassisch in der Garage angefangen. Ich selber war weder Raucher noch Dampfer und ein halbes Jahr vor Gründung der Firma, wusste ich nicht einmal, dass es E-Zigaretten überhaupt gibt. Mittlerweile sind wir einer der führenden Großhändler für Flüssigkeiten in Deutschland und beliefern mit unseren Produkten ca. 90% des deutschen Marktes.

Ich weiß nicht, wie sie zur E-Zigarette oder zum Rauchen stehen, für viele ist das ein Thema, an das sich niemand so richtig heran traut. Ich habe selbst drei Kinder und ich will bestimmt nicht, dass sie irgendwann in ihrem Leben E-Zigarette konsumieren oder mit dem Rauchen anfangen. Wenn die Kinder mich fragen, was der Papa arbeitet, würde ich ihnen auch gerne was Anderes sagen. Wenn ich Mützen und T-Shirts verkaufen würde, wäre vieles vielleicht einfacher. Aber wie schon erwähnt, durch Zufälle bin ich in dieser Branche gelandet, und wir bewirken auch viel Positives.

Unabhängig von ihrer Neigung pro / contra E-Zigarette, möchte ich ihnen meine Sichtweise als Unternehmer darstellen.
Die geplante Steuererhöhung bzw. die Steuer auf E-Zigaretten hat uns aus dem Nichts Ende letzten Jahres getroffen. Im September 2019 wurde die Branche ins Wanken gebracht durch „EVALI“, das Problem aus den USA mit den „Toten durch E-Zigaretten“. (Zwei Brüder in den USA , absolute „Idioten“ haben THC mit Vitamin E versetzt, dies wiederum in Caps für E-Zigaretten gefüllt und das Produkt auf dem Schwarzmarkt verkauft).

Als sich im Februar 2020 der E-Zigaretten-Markt wieder angefangen hat zu beruhigen und unsere Umsätze erstmals wieder auf Vorjahres Niveau lagen, kam im März 2020, absolut zur unpassenden Zeit, die Corona Pandemie und kurz darauf der erste Lock-Down. In der ganzen Corona-Zeit haben wir etliche Kunden durch Insolvenz verloren. Mir persönlich geht jede Insolvenz eines Kunden sehr nahe. Nicht wegen des Umsatzes, der uns fehlt, sondern der persönlichen Schicksale, die ich immer wieder erzählt bekomme. Da wir noch eine sehr junge Branche sind, haben viele ihre ganzen Ersparnisse aufgebraucht und kein Kapital mehr im Rücken um diese Zeit weiterhin durchzustehen.

Die geplante Steuererhöhung aus dem ersten Referenzentwurf für nikotinhaltige Produkte in einer Höhe von bis zu 8 Euro pro 10ml war mehr als absurd. Sie haben vielleicht auch verfolgt, wie sich Politiker, der Zoll und andere Institutionen gegen dieses Steuererhöhung geäußert haben. Wir haben in der Branche alle gehofft, dass eine Steuererhöhung so ausfällt, dass sie sinnvoll und durchdacht ist. Das, was die Koalitionspartner jetzt hinter verschlossenen Türen ausgehandelt haben, in der ersten Stufe 16 Cent pro ml hört sich erstmal besser an, aber dafür werden jetzt nikotinfreien Produkte komplett mit eingeschlossen. Ein E-Zigaretten- Fachgeschäft verkauft einen Mix aus 10ml Liquids, Longfill Aromen und sogenannten nikotinfreien Shortfills. Die Aromen und die Shortfill Liquids haben im Vergleich zu den 10ml Liquids einen wesentlich attraktiveren Preis für den Konsumenten. Viele Dampfer bevorzugen deshalb Longfill Aromen oder Shortfill Liquids. Ein großer Teil des Ertrags im E-Zigaretten Einzelhandel wird mit dem Umsatz dieser beiden Produkte erwirtschaftet.

Da sie nikotinfrei sind, haben sie keine Volumenbeschränkung und bestehen in der Regel aus einer 60-ml oder 120-ml-Flasche. Auf eine Flasche Shortfill mit 60 ml würden im ersten Stepp circa 9,60 Euro reine Steuer anfallen, im letzten Stepp sogar 19,20 Euro. Ein Produkt, das aus Lebensmittelaroma, Propylenglykol und Glyzerin besteht. Ein Produkt, das nikotinfrei ist, nachweislich 95 Prozent weniger schädlich als Zigaretten und vielen Rauchern hilft, mit dem Rauchen aufzuhören. Aus einem Verkaufspreis von um die 15 Euro werden inklusive Steuer circa 25 Euro beziehungsweise. beim letzten Stepp sogar 35 Euro pro Flasche!

Abgesehen davon, dass Rauchen dadurch wieder wesentlich attraktiver wird, schreckt so ein Preis viele E-Zigaretten-Konsumenten und vor allem die für unsere Branche ganz wichtigen „Umsteiger“ ab.




Ein Argument, dass Shortfill-Liquids und Longfill-Aromen durch den daraus entstehenden Einstiegspreis zu teuer sind und dadurch sämtliche Produkte nur noch als 10 ml verkauft werden, ist keine Lösung und in der Praxis nicht umsetzbar. Durch reine 10 ml Flaschen würde ein Endverbraucher zwar weniger pro Flasche bezahlen, somit einen geringeren Einstiegspreis haben, aber er würde mehr Geld auf Dauer für das Konsumieren von E-Zigaretten ausgeben, als derzeit für das Rauchen. Auch wird ein Vielfaches an Verpackungsmüll durch die ganzen Leerflaschen hinzukommen. Dazu kommt, Stand heute kann kein E-Zigaretten-Fachgeschäft mit einem Sortiment aus reinen 10 ml-Liquids überleben. Das ist schlichtweg unmöglich. Durch die Steuer, die den Verkaufspreis zusätzlich erhöht, erst recht nicht.

Bei der ganzen Diskussion um die Erhöhung der Steuer, gesundheitspolitischen Aspekte, finanzielle Mehreinnahmen für den Staat, Jugendschutz usw. ärgert mich eine Sache am meisten. Niemand sieht oder denkt über die ganzen Händler, Hersteller und Produzenten nach, die tausende von Arbeitsplätzen in den letzten Jahren geschaffen haben. Millionen in Maschinen, Gebäude und Produktion investiert haben. Die sich Existenzen aufgebaut haben. Mit dieser Steuererhöhung stehen viele vor dem Aus. Meine Mitarbeiter haben genauso Angst um ihren Job wie ich um die Firma. Auf Dauer werden wir im Großhandel mit der geplanten Steuer nicht überleben können.

Hier noch positiv zu denken, ist fern von jeglicher Realität auf dem Markt. Die Gewinner dieser Steuer sind ganz klar die großen Tabakkonzerne mit ihren Milliarden im Hintergrund. Sie werden den Markt übernehmen, kontrollieren und steuern. Ist das der Sinn des Ganzen? Ein paar Konzerne kontrollieren den Markt für E-Zigaretten, wie sie schon den Markt für Zigaretten kontrollieren?
Ich bin nicht generell gegen eine Steuer auf E-Zigaretten. Regulierung und Klarheit ist gut für unsere Branche. Das hat sich die letzten Jahre immer wieder gezeigt. Aber mit diesem „Steuerdeal“ fühle ich mich als Unternehmer komplett hintergangen. Zuschauen zu müssen, wie eine ganze Branche aus Einzelhändler, Produzenten und Lieferanten zerstört wird, durch eine komplett undurchdachte und sinnbefreite Steuererhöhung, das tut mir weh!

Es ist für mich wirtschaftlich gesehen absolut unbegreiflich, wie es die von Herrn Scholz und dem Finanzministerium durchgerechneten Mehreinnahmen durch die Besteuerung von E-Zigaretten geben soll. Das Gegenteil wird passieren. Um das zu verstehen, muss man weder Finanzpolitiker, Wirtschaftsfachmann oder ein Rechengenie sein. Da reicht der normale Menschenverstand. Die ganzen Corona-Kredite, die unsere Händler aufnehmen mussten, um noch irgendwie über die Runden zu kommen, werden aufgrund von Insolvenzen nicht mehr zurückbezahlt. Es wird tausende von Arbeitsplätzen kosten und aus den schön gerechneten Mehreinnahmen fallen weitere Kosten für den Staat an.




Für nächstes Jahr ist eine Harmonisierung auf EU-Ebene geplant zur Besteuerung von E-Zigaretten. In meinen Augen, der einzig sinnvollste Weg. Warum muss Deutschland inmitten der Corona-Pandemie einen Alleingang durchziehen? Der einzige plausible Grund, der mir einfällt, ein so aberwitziges und undurchdachtes Steuergesetzt mit aller Macht vor der Bundestagswahl und in dieser Schnelle durchgedrückt zu bekommen, ist nur einer. Herr Scholz und die SPD gehen davon aus, dass die Wählerschaft der Nichtraucher weitaus größer ist, als die der Raucher und Dampfer. Wenn das auch nur im Ansatz ein Grund für diese Steuererhöhung ist, stelle ich mir ernsthaft die Frage: „Ist es das wert? – Eine komplette Branche dem Erdboden gleichzumachen und tausende von Arbeitsplätzen sowie Existenzen aufs Spiel zu setzen“.

Sehr sozial ist es auf jeden Fall nicht.

Es ist mir klar, dass ich aus Sicht eines Unternehmens schreibe und in dieser Branche mein Geld verdiene. Ich bin allerdings, wie oben erwähnt, auch Vater von drei Jungs. Ich verstehe die Argumente der E-Zigaretten-Gegner genauso wie die Argumente der Befürworter. Es geht mir nicht darum, dass keine Steuer kommen soll oder die E-Zigaretten nicht reguliert gehört. Es geht mir darum, dass egal wie man es dreht und wendet, mit dem ersten Referentenentwurf eine realitätsfremde Steuer vorgeschlagen wurde und nach den jüngsten Verhandlungen, daraus ein fauler Kompromiss entstanden ist. Das endet für keine der Seiten gut, egal ob Gegner oder Befürworter.

E-Zigaretten-Konsumenten gehen wieder zur Zigarette zurück, die Tabakindustrie übernimmt den E-Zigaretten-Markt, die Umwelt wird mit noch mehr Plastikmüll überschüttet und ein ambitionierter Finanzminister mit seinem Finanzministerium rechnet sich die Mehreinnahmen schön. Es kann so keinen Gewinner geben.

Und eine klare Meinung aus Sicht eines Unternehmens. Die größten Verlierer sind die ganzen Angestellten in unserer Branche, die Einzelhändler, Hersteller und Produzenten. Sind die Menschen, die täglich zur Arbeit gehen und ihr Bestes geben, so wenig wert, dass niemand an sie denkt? Wer sagt meinen Mitarbeitern, dass sie sich einen neuen Job suchen müssen?

Das macht mich traurig!

Laut ihrem Werdegang sind sie Korrespondent für Politik und Wirtschaft. Sagen sie mir, was können wir tun, damit in Berlin endlich mal jemand aufwacht und sich außerhalb von gesundheitspolitischen Aspekten, Lobbyismus und persönlichem Empfinden mit dem Thema E-Zigaretten Steuer realistisch befasst? Ich kann und will nicht akzeptieren, dass ich in einem Land lebe, in dem der Bürger nicht gesehen wird, eine Politik gelebt wird mit „Gib mir, gebe ich dir Deals“ und wenn‘s schief geht, entschuldigt man sich ohne Konsequenzen.
Vielen Dank fürs Lesen.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Esterle
FEAL Electronic Cigarettes GmbH