Ein Gastbeitrag von Dietmar Jazbinsek, freier Wissenschaftsjournalist und Experte für Präventionspolitik, in dem er sich der unterschiedlichen Studien und Ergebnisse rund um Corona und Rauchen/Dampfen annimmt.
Es gibt viele gute Gründe, mit dem Rauchen aufzuhören. Gehört Covid-19 dazu? Und genügt es, auf das Dampfen umzusteigen, oder sollte man am besten auch damit aufhören, um sich vor dem Virus zu schützen?
Für Sukhwinder Sohal ist die Sache klar: „Covid-19, angefacht vom Rauchen, könnte ganze Nationen zerstören“ – so lautet der Titel eines Blogbeitrags, den Sohal gemeinsam mit seiner Kollegin Kathryn Barnsley auf der Webseite der European Respiratory Society veröffentlicht hat. Sohal und Barnsley betreiben mit einem Team der Universität Tasmanien Grundlagenforschung zur Entstehung von Lungenkrankheiten. Ihr besonderes Interesse gilt einem Molekül namens Angiotensin-konvertierendes Enzym 2, abgekürzt ACE2.
Rauchen, so die Beobachtung der australischen Experten und anderer Forscher, führt zu einer vermehrten ACE2-Expression in der Lunge. ACE2-Rezeptoren wiederum sind Andockstellen für die viralen Spikes von SARS-CoV-2 – das sind die Zacken in der Krone, denen das Coronavirus seinen Namen verdankt. Sohal und Barnsley sind deshalb davon überzeugt: Je mehr jemand raucht (oder geraucht hat), umso höher ist sein Risiko, an Covid-19 zu erkranken.
Die beiden Autoren betonen, dass Tabakerhitzer und E-Zigaretten die Lunge in vergleichbarer Weise schädigen wie herkömmliche Zigaretten und darum das Erkrankungsrisiko ebenfalls erhöhen könnten. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf einen Laborversuch, bei dem Kulturen mit menschlichen Lungenzellen 72 Stunden lang Tabakrauch, IQOS-Qualm oder E-Zigaretten-Dampf ausgesetzt wurden. Britische Wissenschaftler bezweifeln, dass sich die Ergebnisse dieses Zellversuchs auf den menschlichen Organismus übertragen lassen. Wer hat Recht?
Daten aus China zur Epidemiologie von Covid-19 scheinen die Brandbeschleuniger-These von Sohal und Barnsley zu bestätigen. Dort hat sich nämlich gezeigt, dass Männer deutlich häufiger wegen der neuen Virusinfektion im Krankenhaus behandelt wurden als Frauen (E-Garage berichtete). Weil in China über 50 Prozent der Männer rauchen, aber nur 2 bis 3 Prozent der Frauen, lag es nahe, den Unterschied hinsichtlich der Corona-Morbidität auf das Rauchverhalten zurückzuführen. Diese Schlussfolgerung war allerdings voreilig, wenn man der Meta-Analyse einer griechischen Forschergruppe Glauben schenkt.
Gemessen an der Verbreitung des Zigarettenkonsums in der männlichen Bevölkerung hätten nämlich sehr viel mehr Raucher mit schweren Krankheitssymptomen in den chinesischen Kliniken ankommen müssen, als dies tatsächlich der Fall war, so Farsalinos et al. Wenn überhaupt etwas aus den Hospitalisierungsraten in China herauszulesen sei, dann dass Rauchen einen protektiven Effekt haben könnte, also das Risiko einer Covid-19-Erkrankung verringert. Die Autoren formulieren diesen frevelhaften Gedanken, um ihn sogleich zu widerrufen: Es könne z.B. sein, dass Erkrankte unmittelbar vor ihrer Einweisung mit dem Rauchen aufgehört haben und in den Kliniken deshalb irreführenderweise als Nichtraucher registriert worden sind.
Auffällig ist, dass diverse Überblicksartikel über die chinesischen Studien zu völlig gegensätzlichen Ergebnissen kommen: Mal heißt es, das Rauchen würde sich „aller Wahrscheinlichkeit nach“ negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken, mal lautet das Fazit, es gebe keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen dem Rauchverhalten und dem Schweregrad der Erkrankung.
Die widersprüchlichen Deutungen sind nicht nur für Laien irritierend: „Die chinesischen Daten, die wir bisher haben, sind teilweise rätselhaft“, sagte Michael Pfeifer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“. Die Annahme, dass die Atemwege und die Lungen von Rauchern mehr ACE2-Rezeptoren aufweisen und deshalb für Covid-19 besonders anfällig sind, hält er für spannend, ohne wirklich überzeugt zu sein: „Es ist eine Theorie, mehr nicht“, so der Lungenarzt.
Für seine Skepsis hat Pfeifer einen guten Grund. Denn nicht nur die Inhaltsstoffe des Tabakrauchs (das Nikotin?) beeinflussen die ACE2-Rezeptordichte, sondern auch einige weit verbreitete Medikamente gegen Bluthochdruck und Herzinsuffizienz. Kardiologen warnen ihre Patienten deshalb bereits eindringlich davor, ACE-Hemmer oder Sartane eigenmächtig abzusetzen, um die Infektionsgefahr zu verringern. Andernfalls könnten sie eher an einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt sterben als an Covid-19.
Was die Situation in Deutschland betrifft, liegen mittlerweile erste Zahlen vor. Unter 50 Corona-Kranken aus dem Kreis Heinsberg, die in die Uniklinik Aachen eingewiesen wurden, waren 5 Ex-Raucher und 3 Raucher. Das sind erstaunlich wenig, selbst wenn man bedenkt, dass in dem Altersspektrum der Aachener Patienten (58 bis 76 Jahre) die Raucherprävalenz niedriger ist als im Bevölkerungsdurchschnitt. Knapp die Hälfte der Covid-19-Patienten musste wegen eines schweren Lungenversagens auf der Intensivstation behandelt werden, darunter war kein einziger Raucher.
Die ersten Zahlen der Centers for Disease Control aus den USA sind noch erstaunlicher: Unter 7.126 vollständig dokumentierten Fällen einer Covid-19-Erkrankung waren 96 Raucher (= 1,3 Prozent) und 165 Ex-Raucher (= 2,6 Prozent). Von den intensivmedizinisch Behandelten waren 1,1 Prozent Raucher und 7,2 Prozent Ex-Raucher. Zum Vergleich: 2018 betrugen die Anteile der Raucher und der Ex-Raucher an der erwachsenen US-Bevölkerung 14 bzw. 22 Prozent. Warum ist ihr Anteil an den dokumentierten Covid-19-Fällen so gering? Verschweigen Raucher bei der Aufnahme in eine Klinik ihren Zigarettenkonsum, weil sie befürchten, andernfalls keinen Platz auf der Intensivstation zu bekommen (Triage)?
Auch die amerikanischen Daten, die wir bisher haben, sind also teilweise rätselhaft. Sie widersprechen allen infektiologischen Erkenntnissen, die als gesichert gelten können:
• Zigarettenkonsum schädigt nachweislich die Immunabwehr und fördert Entzündungen, weshalb Raucher z.B. häufiger und schwerer an Grippe erkranken;
• Raucher führen ihre Hände öfter zum Mund als Nichtraucher und teilen gelegentlich eine Zigarette mit anderen, wodurch ihr Infektionsrisiko weiter ansteigt;
• Zigarettenkonsum ist eine der Hauptursachen für COPD, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und andere Vorschädigungen, die ihrerseits das Risiko erhöhen, an Covid-19 zu sterben.
Konstantinos Farsalinos stellt in einem Blogbeitrag Überlegungen dazu an, inwieweit das Infektionsrisiko eines Rauchers durch den Umstieg auf die E-Zigarette gesenkt werden kann. Er erinnert in diesem Zusammenhang an eine Studienreihe aus den 1940er Jahren, bei der die antibakteriellen und antiviralen Eigenschaften von Propylenglykol untersucht wurden. Er geht jedoch nicht so weit, das Verdampfen dieser Trägersubstanz von handelsüblichen Liquids als Maßnahme zur Covid-19-Prophylaxe zu verkaufen. An sich müssten seine Empfehlungen auch den Vertretern der Tabakkontrolle einleuchten, die den griechischen Kardiologen als Agenten der Zigarettenindustrie denunzieren, ohne dafür ernst zu nehmende Belege aufzuführen. Die Empfehlungen lauten (frei übersetzt):
1. Versuchen Sie, mit dem Rauchen aufzuhören.
2. Falls Sie nicht von sich aus oder mit den derzeit zugelassenen Methoden aufhören können, versuchen Sie es mit E-Zigaretten.
3. Falls Sie E-Zigaretten und Tabakzigaretten parallel konsumieren (dual use), versuchen Sie, komplett auf Tabakzigaretten zu verzichten.
4. Falls Sie früher geraucht haben und heute E-Zigaretten verwenden, möchten Sie möglicherweise auch mit dem Dampfen aufhören. Wenn Sie dabei Gefahr laufen, wieder mit dem Rauchen anzufangen, ist es besser, Sie bleiben bei der E-Zigarette.
5. Falls Sie noch nie geraucht haben, gibt es keinen Beleg dafür, dass sich durch den Gebrauch einer E-Zigarette eine Coronavirus-Infektion verhindern oder die Schwere der Erkrankung verringern lässt. Fangen Sie also nicht an zu dampfen.
Dem ist nichts hinzufügen.
Außer: Wir von eGarage wünschen allen Lesern und Dampfern ein frohes und gesundes Osterfest – und bleiben Sie daheim.