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Gastbeitrag: Die Selbstzerstörung eines Tabakkontrolleurs

28. February 2020By ASW

Ein Gastbeitrag von Dietmar Jazbinsek, freier Wissenschaftsjournalist und Experte für Präventionspolitik, in dem er sich der „zurückgezogenen“ Studie von US-Professor Stanton Glantz zu Herzinfarkt und E-Zigaretten annimmt und Lehren aus dem „Glantz-Skandal“ zieht.




Es ist ein drastischer Schritt für jede Fachzeitschrift und die Höchststrafe für einen Wissenschaftler: Am 18. Februar hat das Journal of the American Heart Association (JAHA) eine Studie zurückgezogen, in der eine Verdoppelung des Herzinfarktrisikos durch E-Zigaretten-Konsum behauptet wurde. Die Studie sorgte im Sommer 2019 international für Aufsehen und fachte in den USA die dort grassierende E-Zigaretten-Panik weiter an. Ihr Hauptautor ist kein Geringerer als Stanton Glantz, der weltweit wohl bekannteste Experte für Tabakkontrolle.

Glantz verdankt seine Bekanntheit einem FedEx-Paket, das ein gewisser „Mr. Butts“ im Mai 1994 an sein Büro in San Francisco geschickt hat. Es enthielt Tausende von internen Dokumenten der Firma Brown & Williamson, denen zu entnehmen war, wie die Tabakindustrie über Jahrzehnte hinweg das Suchtpotential der Zigaretten manipuliert und zugleich kaschiert hatte. Das daraus entstandene Glantz-Buch „The Cigarette Papers“ gab den Anstoß für eine Reihe von Schadensersatzprozessen, durch die noch sehr viel mehr Interna der Tabakbranche publik wurden. Sie sind heute auf der Webseite der University of California abrufbar. Kein anderer Forscher hat sich so intensiv mit diesen mehr als 14 Millionen Dokumenten befasst wie Stanton Glantz; dank ihm hat die Welt erfahren, mit wieviel krimineller Energie Konzerne wie Philip Morris ihre Kunden betrogen und die Öffentlichkeit belogen haben.

Nachdem die E-Zigarette auf den Markt kam, hat der kalifornische Kardiologe seine Erkenntnisse über die Gefahren der Tabakzigarette umstandslos auf das neue Nikotinprodukt übertragen. Ein Überblicksartikel aus dem Jahr 2014 mündet folgerichtig in einer Liste von Verbotsforderungen. Glantz bedankt sich bei dieser Gelegenheit u.a. bei Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum für die fachliche Beratung. In letzter Zeit wird der Ton seiner Stellungnahmen immer apodiktischer: „E-Zigaretten sollten nicht als eine weniger riskante Alternative zu brennbaren Zigaretten empfohlen werden“ – so lautet das Fazit, das er gemeinsam mit seinem Koautor Dharma N. Bhatta aus der Herzinfarktstatistik gezogen hat.




Das Ausgangsmaterial der beiden Forscher sind die Selbstauskünfte von rund 30.000 erwachsenen US-Bürgern, die zwischen 2013 und 2015 im Rahmen des PATH-Projekts („Population Assessment of Tobacco and Health“) befragt wurden. Die Datenbasis, auf die sich Bhatta und Glantz bei ihrer Risikobewertung stützen, ist jedoch wesentlich schmaler: Es handelt sich um 38 Probanden, die angaben, E-Zigaretten zu konsumieren und einen Herzinfarkt erlitten zu haben. Der Haken dabei: In elf der 38 Fälle lag der Infarkt zeitlich v o r dem Einstieg in das Dampfen. Rechnet man diese Fälle heraus, löst sich der statistische Zusammenhang zwischen E-Zigaretten-Konsum und Herzinfarktrisiko in Luft auf. Darauf hat als Erster der Mediziner Brad Rodu von der Universität Louisville im Juli 2019 aufmerksam gemacht.

Stanton Glantz hat diesen Einwand damals mit dem Hinweis gekontert, Rodu beziehe seit vielen Jahren Fördergelder von der Tabakindustrie (was auch stimmt). Im November aber veröffentlichte der hochdekorierte Statistiker Andrew Gelman in seinem Online-Blog eine Replikation der Datenanalyse, die den Einwand von Brad Rodu bestätigte. Dies wiederum nahm eine Gruppe von prominenten Tabakkontroll-Experten – unter ihnen Konstantinos Farsalinos (Griechenland), Ann McNeill (Großbritannien) und Kenneth Warner (USA) – zum Anlass, einen offenen Brief an die Fachzeitschrift zu schreiben und die Widerrufung der Studie zu fordern. Die JAHA-Herausgeber sind dieser Aufforderung nun nachgekommen. Man habe den gesamten Vorgang noch einmal überprüft, hieß es, und Bhatta und Glantz um eine Neuberechnung der Daten gebeten. Beide hätten dem auch zugestimmt, die dafür eingeräumte Frist jedoch verstreichen lassen.

Die Erklärung für dieses Versäumnis ist den Autoren offenbar selber peinlich: Ihnen ist der Zugang zu den PATH-Daten gesperrt worden, weil sie gegen Richtlinien des Datenverwalters – der Universität Michigan – verstoßen haben. Von diesem „Schnitzer“ abgesehen, betont Glantz in seinem Blog, stünden Bhatta und er jedoch voll hinter der eigenen Studie und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Nach dieser Klarstellung geht der Kardiologe zum Gegenangriff über: Seinen Kritikern unterstellt er, Handlanger der Tabakindustrie zu sein; den Herausgebern der Fachzeitschrift droht er mit rechtlichen Konsequenzen, weil sie vor den „E-Zigaretten-Interessen“ eingeknickt seien.




Dabei sind die Journal-Herausgeber noch recht behutsam mit dem berühmten Professor umgegangen: Zwar haben sie seine Befunde als „unzuverlässig“ (unreliable) eingestuft, aber sie haben sich nicht dazu geäußert, ob dieses Manko auf einen „ehrlichen Irrtum“ (honest error) oder auf bewusstes Fehlverhalten zurückzuführen ist. Für Letzteres spricht das Kleingedruckte in der Originalpublikation: In dem Abschnitt „Limitationen“ behaupten die Autoren, es sei „unbekannt, ob sich die berichteten Myokardinfarkte vor oder nach Beginn des E-Zigaretten-Gebrauchs der Befragten ereignet“ hätten. In dem Abschnitt davor kann man das genaue Gegenteil nachlesen: Die betreffenden Teilnehmer an der PATH-Studie sind explizit danach gefragt worden, wie alt sie bei Eintritt der beiden Ereignisse waren, und Bhatta/Glantz kannten die Antworten.

Das Herausgebergremium des JAHA hätte sich an das „normale Prozedere“ halten sollen, statt die Herzinfarktstudie zurückzuziehen, empört sich Stanton Glantz in seinem Blog. Normal wäre es aus seiner Sicht gewesen, die Kritik an der Studie als Leserbrief abzudrucken, auf den er dann gemeinsam mit Bhatta hätte antworten können. Tatsächlich hat der Star der Tabakkontrolle mit diesem Prozedere gute Erfahrungen gemacht: Es gibt keine E-Zigaretten-Publikation von ihm, die nicht auf zum Teil heftigen Widerspruch gestoßen wäre. Doch die Öffentlichkeit hat von diesen Leserbriefdebatten in Expertenkreisen kaum Notiz genommen. In den Medien gilt Glantz noch immer als schlagzeilentaugliche Top-Koryphäe.

Hier einige Beispiele für einschlägige Kontroversen:

• Das Duo Bhatta/Glantz hat nach einer anderen Auswertung der PATH-Daten behauptet, E-Zigaretten-Konsum erhöhe nachweislich das Risiko für Atemwegserkrankungen wie COPD und Lungenemphysem. Tatsächlich sprechen die Umfrageergebnisse eher für die umgekehrte Kausalität: Nicht das Dampfen führt zu Lungenerkrankungen, sondern lungenkranke Raucher wechseln wegen ihrer Beschwerden von der Zigarette zur E-Zigarette.

• Im Rahmen des PATH-Projektes sind auch Jugendliche befragt worden. Glantz war an einer Auswertung von zwei Befragungswellen beteiligt und hat danach behauptet, das Ausprobieren von E-Zigaretten verführe die 12- bis 17-Jährigen nachweislich zum Dauerkonsum von Tabakzigaretten. Tatsächlich konnte dieser Eindruck nur entstehen, weil die Autoren das Ausprobieren von Tabakzigaretten zum Zeitpunkt der ersten Befragung ausgeblendet hatten. Brad Rodu hat deshalb die Zeitschrift Pediatrics dazu aufgerufen, diese Studie ebenfalls zurückzuziehen.

• Glantz hat in einer vielzitierten Meta-Analyse behauptet, der E-Zigaretten-Konsum gehe nachweislich mit einem signifikanten Rückgang der Rauchstopp-Quote einher. Tatsächlich tritt dieser statistische Zusammenhang nur dann auf, wenn man das gelegentliche Dampfen mitzählt. Bei einem täglichen E-Zigaretten-Konsum erhöhen sich die Chancen der Tabakentwöhnung. Darauf hat Sara Kalkhoran hingewiesen, die an der Meta-Analyse beteiligt war.




Die Liste ließe sich noch fortsetzen, denn Glantz ist ein Serienproduzent mathematisch modellierter Hologramme von Herzinfarkten, Dampferlungen oder Kindern mit Zigaretten im Mund, die dann als Angstbilder die Phantasie der Zeitungsleser beflügeln. Ähnlich wie die Illusionisten in Las Vegas veranstaltet der gelernte Weltraumingenieur aus San Francisco mit komplexen Kalkulationen und seitenlangen Tabellen ein Bühnenspektakel, das die Betrachter in den Bann ziehen und von den simplen Tricks ablenken soll, mit denen der Eindruck empirischer Evidenz erzeugt wird. „Statistische Tricks“ – diese Charakterisierung der Glantz-Methodik hält der Statistiker Gelman nach eingehender Prüfung der Herzinfarktstudie für angemessen.

Es gibt mindestens drei Lehren, die aus dieser Geschichte zu ziehen sind. Erstens: Das wichtigste Prüfverfahren des Wissenschaftsbetriebs – das Peer Review der Fachzeitschriften – funktioniert nicht so wie es sollte. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber nach wie vor virulent. Zweitens: Die Deklaration von Interessenkonflikten ist eine notwendige, aber bei weitem keine hinreichende Bedingung für die Beurteilung wissenschaftlicher Seriosität. Es werden sehr viel mehr Studien von unabhängigen Forschern zurückgerufen als von Wissenschaftlern der Industrie – darauf hat anlässlich des Glantz-Skandals der Medizinjournalist Ivan Oransky hingewiesen, der die Webseite „Retraction Watch“ betreibt. Und last but not least: Wenn die Tabakkontrolle ihre Glaubwürdigkeit bewahren will, muss sie lernen, fachliche Kontroversen fair und öffentlich auszutragen. Wer Kritiker als Häretiker verteufelt, die mit dem Leibhaftigen im Bunde stehen, macht aus der Scientific Community eine Sekte.

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28. February 2020By ASW

Ein Gastbeitrag von Dietmar Jazbinsek, freier Wissenschaftsjournalist und Experte für Präventionspolitik, in dem er sich der „zurückgezogenen“ Studie von US-Professor Stanton Glantz zu Herzinfarkt und E-Zigaretten annimmt und Lehren aus dem „Glantz-Skandal“ zieht.




Es ist ein drastischer Schritt für jede Fachzeitschrift und die Höchststrafe für einen Wissenschaftler: Am 18. Februar hat das Journal of the American Heart Association (JAHA) eine Studie zurückgezogen, in der eine Verdoppelung des Herzinfarktrisikos durch E-Zigaretten-Konsum behauptet wurde. Die Studie sorgte im Sommer 2019 international für Aufsehen und fachte in den USA die dort grassierende E-Zigaretten-Panik weiter an. Ihr Hauptautor ist kein Geringerer als Stanton Glantz, der weltweit wohl bekannteste Experte für Tabakkontrolle.

Glantz verdankt seine Bekanntheit einem FedEx-Paket, das ein gewisser „Mr. Butts“ im Mai 1994 an sein Büro in San Francisco geschickt hat. Es enthielt Tausende von internen Dokumenten der Firma Brown & Williamson, denen zu entnehmen war, wie die Tabakindustrie über Jahrzehnte hinweg das Suchtpotential der Zigaretten manipuliert und zugleich kaschiert hatte. Das daraus entstandene Glantz-Buch „The Cigarette Papers“ gab den Anstoß für eine Reihe von Schadensersatzprozessen, durch die noch sehr viel mehr Interna der Tabakbranche publik wurden. Sie sind heute auf der Webseite der University of California abrufbar. Kein anderer Forscher hat sich so intensiv mit diesen mehr als 14 Millionen Dokumenten befasst wie Stanton Glantz; dank ihm hat die Welt erfahren, mit wieviel krimineller Energie Konzerne wie Philip Morris ihre Kunden betrogen und die Öffentlichkeit belogen haben.

Nachdem die E-Zigarette auf den Markt kam, hat der kalifornische Kardiologe seine Erkenntnisse über die Gefahren der Tabakzigarette umstandslos auf das neue Nikotinprodukt übertragen. Ein Überblicksartikel aus dem Jahr 2014 mündet folgerichtig in einer Liste von Verbotsforderungen. Glantz bedankt sich bei dieser Gelegenheit u.a. bei Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum für die fachliche Beratung. In letzter Zeit wird der Ton seiner Stellungnahmen immer apodiktischer: „E-Zigaretten sollten nicht als eine weniger riskante Alternative zu brennbaren Zigaretten empfohlen werden“ – so lautet das Fazit, das er gemeinsam mit seinem Koautor Dharma N. Bhatta aus der Herzinfarktstatistik gezogen hat.




Das Ausgangsmaterial der beiden Forscher sind die Selbstauskünfte von rund 30.000 erwachsenen US-Bürgern, die zwischen 2013 und 2015 im Rahmen des PATH-Projekts („Population Assessment of Tobacco and Health“) befragt wurden. Die Datenbasis, auf die sich Bhatta und Glantz bei ihrer Risikobewertung stützen, ist jedoch wesentlich schmaler: Es handelt sich um 38 Probanden, die angaben, E-Zigaretten zu konsumieren und einen Herzinfarkt erlitten zu haben. Der Haken dabei: In elf der 38 Fälle lag der Infarkt zeitlich v o r dem Einstieg in das Dampfen. Rechnet man diese Fälle heraus, löst sich der statistische Zusammenhang zwischen E-Zigaretten-Konsum und Herzinfarktrisiko in Luft auf. Darauf hat als Erster der Mediziner Brad Rodu von der Universität Louisville im Juli 2019 aufmerksam gemacht.

Stanton Glantz hat diesen Einwand damals mit dem Hinweis gekontert, Rodu beziehe seit vielen Jahren Fördergelder von der Tabakindustrie (was auch stimmt). Im November aber veröffentlichte der hochdekorierte Statistiker Andrew Gelman in seinem Online-Blog eine Replikation der Datenanalyse, die den Einwand von Brad Rodu bestätigte. Dies wiederum nahm eine Gruppe von prominenten Tabakkontroll-Experten – unter ihnen Konstantinos Farsalinos (Griechenland), Ann McNeill (Großbritannien) und Kenneth Warner (USA) – zum Anlass, einen offenen Brief an die Fachzeitschrift zu schreiben und die Widerrufung der Studie zu fordern. Die JAHA-Herausgeber sind dieser Aufforderung nun nachgekommen. Man habe den gesamten Vorgang noch einmal überprüft, hieß es, und Bhatta und Glantz um eine Neuberechnung der Daten gebeten. Beide hätten dem auch zugestimmt, die dafür eingeräumte Frist jedoch verstreichen lassen.

Die Erklärung für dieses Versäumnis ist den Autoren offenbar selber peinlich: Ihnen ist der Zugang zu den PATH-Daten gesperrt worden, weil sie gegen Richtlinien des Datenverwalters – der Universität Michigan – verstoßen haben. Von diesem „Schnitzer“ abgesehen, betont Glantz in seinem Blog, stünden Bhatta und er jedoch voll hinter der eigenen Studie und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen. Nach dieser Klarstellung geht der Kardiologe zum Gegenangriff über: Seinen Kritikern unterstellt er, Handlanger der Tabakindustrie zu sein; den Herausgebern der Fachzeitschrift droht er mit rechtlichen Konsequenzen, weil sie vor den „E-Zigaretten-Interessen“ eingeknickt seien.




Dabei sind die Journal-Herausgeber noch recht behutsam mit dem berühmten Professor umgegangen: Zwar haben sie seine Befunde als „unzuverlässig“ (unreliable) eingestuft, aber sie haben sich nicht dazu geäußert, ob dieses Manko auf einen „ehrlichen Irrtum“ (honest error) oder auf bewusstes Fehlverhalten zurückzuführen ist. Für Letzteres spricht das Kleingedruckte in der Originalpublikation: In dem Abschnitt „Limitationen“ behaupten die Autoren, es sei „unbekannt, ob sich die berichteten Myokardinfarkte vor oder nach Beginn des E-Zigaretten-Gebrauchs der Befragten ereignet“ hätten. In dem Abschnitt davor kann man das genaue Gegenteil nachlesen: Die betreffenden Teilnehmer an der PATH-Studie sind explizit danach gefragt worden, wie alt sie bei Eintritt der beiden Ereignisse waren, und Bhatta/Glantz kannten die Antworten.

Das Herausgebergremium des JAHA hätte sich an das „normale Prozedere“ halten sollen, statt die Herzinfarktstudie zurückzuziehen, empört sich Stanton Glantz in seinem Blog. Normal wäre es aus seiner Sicht gewesen, die Kritik an der Studie als Leserbrief abzudrucken, auf den er dann gemeinsam mit Bhatta hätte antworten können. Tatsächlich hat der Star der Tabakkontrolle mit diesem Prozedere gute Erfahrungen gemacht: Es gibt keine E-Zigaretten-Publikation von ihm, die nicht auf zum Teil heftigen Widerspruch gestoßen wäre. Doch die Öffentlichkeit hat von diesen Leserbriefdebatten in Expertenkreisen kaum Notiz genommen. In den Medien gilt Glantz noch immer als schlagzeilentaugliche Top-Koryphäe.

Hier einige Beispiele für einschlägige Kontroversen:

• Das Duo Bhatta/Glantz hat nach einer anderen Auswertung der PATH-Daten behauptet, E-Zigaretten-Konsum erhöhe nachweislich das Risiko für Atemwegserkrankungen wie COPD und Lungenemphysem. Tatsächlich sprechen die Umfrageergebnisse eher für die umgekehrte Kausalität: Nicht das Dampfen führt zu Lungenerkrankungen, sondern lungenkranke Raucher wechseln wegen ihrer Beschwerden von der Zigarette zur E-Zigarette.

• Im Rahmen des PATH-Projektes sind auch Jugendliche befragt worden. Glantz war an einer Auswertung von zwei Befragungswellen beteiligt und hat danach behauptet, das Ausprobieren von E-Zigaretten verführe die 12- bis 17-Jährigen nachweislich zum Dauerkonsum von Tabakzigaretten. Tatsächlich konnte dieser Eindruck nur entstehen, weil die Autoren das Ausprobieren von Tabakzigaretten zum Zeitpunkt der ersten Befragung ausgeblendet hatten. Brad Rodu hat deshalb die Zeitschrift Pediatrics dazu aufgerufen, diese Studie ebenfalls zurückzuziehen.

• Glantz hat in einer vielzitierten Meta-Analyse behauptet, der E-Zigaretten-Konsum gehe nachweislich mit einem signifikanten Rückgang der Rauchstopp-Quote einher. Tatsächlich tritt dieser statistische Zusammenhang nur dann auf, wenn man das gelegentliche Dampfen mitzählt. Bei einem täglichen E-Zigaretten-Konsum erhöhen sich die Chancen der Tabakentwöhnung. Darauf hat Sara Kalkhoran hingewiesen, die an der Meta-Analyse beteiligt war.




Die Liste ließe sich noch fortsetzen, denn Glantz ist ein Serienproduzent mathematisch modellierter Hologramme von Herzinfarkten, Dampferlungen oder Kindern mit Zigaretten im Mund, die dann als Angstbilder die Phantasie der Zeitungsleser beflügeln. Ähnlich wie die Illusionisten in Las Vegas veranstaltet der gelernte Weltraumingenieur aus San Francisco mit komplexen Kalkulationen und seitenlangen Tabellen ein Bühnenspektakel, das die Betrachter in den Bann ziehen und von den simplen Tricks ablenken soll, mit denen der Eindruck empirischer Evidenz erzeugt wird. „Statistische Tricks“ – diese Charakterisierung der Glantz-Methodik hält der Statistiker Gelman nach eingehender Prüfung der Herzinfarktstudie für angemessen.

Es gibt mindestens drei Lehren, die aus dieser Geschichte zu ziehen sind. Erstens: Das wichtigste Prüfverfahren des Wissenschaftsbetriebs – das Peer Review der Fachzeitschriften – funktioniert nicht so wie es sollte. Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber nach wie vor virulent. Zweitens: Die Deklaration von Interessenkonflikten ist eine notwendige, aber bei weitem keine hinreichende Bedingung für die Beurteilung wissenschaftlicher Seriosität. Es werden sehr viel mehr Studien von unabhängigen Forschern zurückgerufen als von Wissenschaftlern der Industrie – darauf hat anlässlich des Glantz-Skandals der Medizinjournalist Ivan Oransky hingewiesen, der die Webseite „Retraction Watch“ betreibt. Und last but not least: Wenn die Tabakkontrolle ihre Glaubwürdigkeit bewahren will, muss sie lernen, fachliche Kontroversen fair und öffentlich auszutragen. Wer Kritiker als Häretiker verteufelt, die mit dem Leibhaftigen im Bunde stehen, macht aus der Scientific Community eine Sekte.

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