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Foto: Prof. Daniel Kotz

“Die Lagerbildung sehe ich mit Sorge”

24. February 2021By JJS

Was könnte endlich klare Erkenntnisse über den langfristigen Schaden von E-Zigaretten bringen? Wo liegen die Vorteile des Dampfens im Vergleich zu anderen Rauchstopp-Methoden? Im Interview mit eGarage gibt Daniel Kotz, Professor am Institut für Allgemeinmedizin der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, ausführliche Einblicke in seine langjährige Arbeit, die den Schwerpunkt auf Suchtforschung und klinische Epidemiologie legt.




Die Lagerbildung Pro und Contra E-Zigarette bereitet ihm Sorgen, Wissenschaft und Regulierung müssten sich unabhängig davon machen.

eGarage: Herr Professor Kotz, nach knapp 15 Jahren wissenschaftlicher Arbeit und Forschung zum Thema Sucht – was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis?

Prof. Daniel Kotz: Eine Erkenntnis, die sich über die Jahre noch verfestig hat, ist, wie schwierig es wirklich ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Und wie wichtig es ist, gute Aufklärung zu leisten und Therapieangebote zu entwickeln, die die Menschen auch erreichen und die Erfolg haben.

Bereits Ihre Doktorarbeit – vor 13 Jahren eingereicht – erforschte Therapiemöglichkeiten für Raucher, die an der schweren Lungenerkrankung COPD leiden.

Genau. COPD wird zu fast 90 Prozent durch Tabakrauch verursacht. Zudem ist die Erkrankung schlimm, sie geht mit Atemnot einher und die Lebensqualität nimmt rapide ab. Für die Betroffenen gibt es eigentlich nur eine sinnvolle Möglichkeit: Mit dem Rauchen aufhören, möglichst sofort, sonst wird es schnell schlimmer. Wir dachten damals, dass wir den Erkrankten mit einem doppelten Ansatz gut helfen können: Sie mit der Erkrankung konfrontieren. Und zweitens begleitend eine optimale Unterstützung mit einem Rauchstopp-Programm und medikamentöser Behandlung.

Das hat aber nicht gut funktioniert?

Nein. Erstaunlicherweise hatte die ausführliche Information über die Erkrankung keinen zusätzlichen Effekt. 90 Prozent der Probanden rauchten nach einem Jahr wieder oder immer noch. Das unterstreicht, wie enorm schwer es für viele Menschen ist, von der Tabakzigarette und der Nikotinsucht loszukommen.

Woran arbeiten Sie im Augenblick?

Ein übergeordnetes Ziel ist, dass die Angebote zur Tabakentwöhnung in Deutschland strukturierter und zahlreicher stattfinden. Insbesondere, dass mehr Patienten, die zum Hausarzt kommen, auch ein Therapieangebot erhalten. Das hat viele Facetten. Wir müssen die Hausärztinnen und Hausärzte besser trainieren, sodass sie das Thema kompetent ansprechen. In vielen Curricula im Medizinstudium taucht das nicht auf, das ändern wir jetzt zum Beispiel an der Universität Düsseldorf. Zweitens: Evidenzbasierte wissenschaftliche Methoden sollten kostenfrei zur Verfügung stehen. Konkret sollten Krankenkassen dafür aufkommen, denn es handelt sich bei der Tabaksucht eindeutig um eine Erkrankung mit erheblichen Folgen.

Die ärztlichen Leitlinien unter anderem für die Behandlung der Tabaksucht sind jüngst überarbeitet worden, Sie waren daran beteiligt. Wie ist aus Ihrer Sicht das Ergebnis im Hinblick auf die E-Zigarette?

Insbesondere bei der E-Zigarette gab es durchaus eine hitzige Debatte, das ist nicht von der Hand zu weisen. Es sind sehr unterschiedliche Meinungen aufeinandergeprallt. Wir haben ja auch schon Entwöhnungstherapien, die sicher und effektiv sind. Eine ganz wichtige Komponente ist die professionelle Beratung, wie zum Beispiel Kurzberatung durch den Hausarzt oder intensive verhaltenstherapeutische Gruppenkurse. Hinzu kommen pharmakologische Präparate, zum Beispiel Nikotinersatzprodukte. Das ist ein Arsenal, das vielen weiterhelfen kann. Es gibt aber auch Menschen, denen dieses Arsenal nicht hilft. Zum Beispiel, weil sie sich Nikotinersatz nicht leisten können oder schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Dann ist es allemal besser, mit der E-Zigarette mit dem Rauchen aufzuhören als es gar nicht zu versuchen. Die E-Zigarette kann helfen, aber entscheidend ist, dass man wirklich auf null Tabakzigaretten kommt. Das ist extrem wichtig.




Was ist aus Ihrer Sicht der Vorteil der E-Zigarette?

Sie kann den Rauchstopp unterstützen; das ist inzwischen auch durch Studien belegt. Letztlich ist sie ähnlich einer Nikotinersatztherapie, in anderen Kleidern und häufig in Eigenregie. Das Nikotin aus der Tabakzigarette wird über einen anderen Weg verabreicht. Vor allem ohne die Verbrennungsgase aus der Tabakzigarette. Wir wissen aber auch: Die E-Zigarette ist nicht völlig schadstofffrei, sondern nur schadstoffreduziert. Es ist also nicht der goldene Weg, aber aus meiner Sicht durchaus ein silberner.

Hat die E-Zigarette eine spezielle Rolle, weil sie dem Rauchen recht nahekommt?

Ja, das ist ein Argument. Die Produkte werden ja in vielen Ländern kaum vom Gesundheitssystem gefördert und werden trotzdem viel genutzt. Mediziner nennen das Phänomen Adhärenz: Die Nutzer halten sich wirklich an ihre Therapie, weil sie es gerne tun. Das führt potenziell auch dazu, dass diese Art Therapie auch lange genug durchgehalten wird und ein Rückfall unwahrscheinlicher wird.

Warum ist die E-Zigarette dabei möglicherweise besonders effektiv?

Neurologisch ergibt es Sinn, dass ein Ersatzprodukt, das auch eine habituelle Komponente, die dem Rauchen ähnelt, bietet, effektiv sein kann. Nikotin wirkt auf Strukturen im Gehirn, die mit Erinnerung und Gedächtnis zusammenhängen. Dutzende Male gibt ein Raucher pro Tag seinem Gehirn einen starken Reiz. Das Gehirn merkt sich, in welchen Situationen das der Fall ist. Erzählungen, dass der Rauchstopp in der Kneipe beim Bier zusammen mit rauchenden Freunden oder beim Karneval gescheitert ist, sind also nicht nur Anekdoten, sondern passen in ein physiologisches Gesamtbild der Tabak- und Nikotinsucht. Der sogenannte Suchtdruck ist in bestimmten Situationen, die das Gehirn erkennt, sehr stark. Die direkte Einsetzbarkeit der E-Zigarette verbunden mit schneller Wirkung und einer haptischen Ähnlichkeit kann diesen Suchtdruck dann möglicherweise besonders effektiv bekämpfen. Wie gesagt: Die Rauchstopp-Therapien sind zwar insgesamt wirksam, aber sie haben dennoch hohe Rückfallraten.

Und die Nachteile der E-Zigarette?

Natürlich ist eine Schwachstelle, dass die E-Zigarette häufig in einen Dauerkonsum mündet. Selbst wenn das Risiko deutlich geringer ist: Das ist schon ein großer Unterschied zu Rauchstopp-Methoden, die in ärztlichen Leitlinien empfohlen werden, bei denen sowohl der Tabak- als auch der Nikotinkonsum vollständig und dauerhaft beendet wird. Ein weiterer Nachteil ist, dass ein Rückfall in einen dualen Konsum von Tabak und E-Zigarette münden kann. Zudem gilt es im Auge zu behalten, ob Jugendliche und junge Erwachsene dauerhaft zum E-Zigaretten- und Nikotinkonsum oder sogar zum Rauchen kommen. Danach sieht es im Moment aber eher nicht aus.

Sie erheben mit der DEBRA-Studie seit 2016 alle zwei Monate repräsentative Daten über die Verbreitung des Rauchens und der E-Zigarette in Deutschland. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Wir sehen beim Rauchen eine leichte Abwärtstendenz, aber leider lange nicht so stark, wie es wünschenswert und aus meiner Sicht auch nötig wäre. Bei der E-Zigaretten-Nutzung schwanken die Zahlen stark, sind aber kontinuierlich recht niedrig.




Wie entstehen die starken Schwankungen bei der E-Zigarette? Die Werte lagen in den vergangenen Jahren zwischen 0,5 Prozent und 2,6 Prozent.

Bei 2000 Befragten pro Befragungsmonat entspricht ein Prozentpunkt 20 Personen. Es liegt in der Natur der Sache, dass repräsentative Befragungen eine gewisse Schwankungsbreite haben, das ist auch bei Wahlumfragen so. Ist ein Wert sehr niedrig – wie bei der E-Zigaretten-Nutzung – dann ist der Schwankungskorridor relativ gesehen sehr hoch, das lässt sich nicht vermeiden. Deshalb sollte man sich die Werte auch eher langjährig im Mittel anschauen. Da sehen wir bei der E-Zigarette eine sehr kontinuierliche Entwicklung, die Zahlen gehen in der Tendenz sogar eher leicht zurück.

Wird die DEBRA-Studie ohne Enddatum weitergeführt?

Wenn es nach mir ginge: Natürlich. Das sind wichtige Daten, denn der Tabak- und E-Zigaretten-Konsum sollte weiterhin feinmaschig im Blick behalten werden. Es gibt ja auch sehr viel Bewegung. Zum Beispiel kommen nun Nikotin-Pouches, also kleine Säckchen, die man unter die Lippe klemmt, auf den Markt. Und es kommen politische Eingriffe und Gesetzesänderungen, bei denen es wichtig ist, zu verstehen, wie sie sich auswirken auf den Konsum.

Wie sollte die E-Zigarette reguliert werden? Haben Sie die Werbeverbote, die jüngst beschlossen wurden, begrüßt?

Ja, das habe ich. Werbung birgt immer die Gefahr, ein Produkt zu attraktiv erscheinen zu lassen. Gleichzeitig, und das ist mir sehr wichtig, sollte es eine vernünftige wissenschaftliche Aufklärung über die E-Zigarette geben.

Durch staatliche Stellen? Wen haben Sie da im Blick?

Großbritannien macht das aus meiner Sicht recht vorbildlich. Die E-Zigarette sollte – ohne die Gefahren zu bagatellisieren, aber auch unter Nennung der Vorteile – als Option zumindest deutlich wahrnehmbar erwähnt werden. In diesem Bereich könnte beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die BZgA, deutlich aktiver werden. Schließlich gibt es aber auch noch einen dritten, sehr wichtigen Punkt, um die Rauchprävalenz zu senken, der gerade in der Diskussion ist.

Sie meinen Tabaksteuererhöhungen?

Richtig. Inzwischen ist Tabak in Deutschland vergleichsweise günstig. Die Lage ist völlig klar: Höhere Tabaksteuern senken die Verbreitung des Rauchens und sind ein erheblicher Anreiz für Raucher, mit der Tabakzigarette oder anderen Rauchprodukten aufzuhören. Das zeigen viele internationale Beispiele. Wir wissen auch, wie stark man den Preis erhöhen müsste, damit es sich auswirkt. Das geht deutlich über die derzeit diskutierten Steuererhöhungen hinaus.

Auch die E-Zigarette könnte erstmals als Nikotinprodukt besteuert werden. Was halten Sie davon?

Eine evidenzbasierte Besteuerung hätte durchaus meine Sympathien. Das hieße, dass die Steuer in der Tendenz eher niedrig wäre. Wobei das Schadpotenzial noch nicht mit Sicherheit eingeschätzt werden kann. Eine 95-prozentige Schadstoffreduktion bedeutet nicht automatisch eine 95-prozentige Schadensreduktion, das Verhältnis ist nicht immer linear. Auf keinen Fall sollte die E-Zigarette so besteuert werden, dass sie als Alternative zum Tabakrauchen unattraktiv wird.

Wann können wir denn mit Daten und Studien rechnen, die adäquat die Langzeitfolgen des Dampfens abbilden?

Das ist ein wissenschaftlich extrem schwieriges Terrain. Das Grundproblem ist: Viele Studie, die hohes Aufsehen erregen, lassen völlig außer Acht, dass der Großteil der E-Zigaretten-Nutzer direkt vorher geraucht hat. Natürlich sind in dieser Gruppe dann höhere Gesundheitsrisiken zu beobachten als in der Durchschnittsbevölkerung. Das dürfte aber in ganz erheblichem Umfang am vorherigen Tabakkonsum und nicht der E-Zigarette liegen. Hier gab es aus meiner Sicht einige wirklich katastrophal schlecht designte Studien, die in fragwürdige Aussagen mündeten. Hinzu kommt, dass die E-Zigarette ein sehr diverses Produkt ist. Die Risiken können schon von Gerät zu Gerät, von Handhabung zu Handhabung und von Aroma zu Aroma offenbar stark schwanken. Was es bräuchte wäre eine Gruppe, die in ihrem Leben quasi nur E-Zigarette konsumiert, aber nie geraucht hat. Das ist aber eine so verschwindend geringe Minderheit, dass sich damit kaum Feldstudien bestreiten lassen.




Stochern wir also dauerhaft im Nebel?

Eine Möglichkeit ist die Auswertung sehr großer Kohorten. Ein guter Ansatzpunkt in Deutschland ist die NAKO Gesundheitsstudie, die über 200.000 Menschen in Deutschland regelmäßig zu Lebenswandel und Gesundheitsstatus befragt. Dabei wird über Jahre nachverfolgt. Ich plane, diese Daten systematisch auszuwerten. Allerdings ist die erste Nachbefragung noch unterwegs, das kann noch zwei bis drei Jahre dauern und dann startet erst die Analyse. Das ist auch statistisch nicht so einfach und braucht viel Zeit und auch Forschungsmittel.

Im Gespräch mit Ihnen entsteht der Eindruck, dass Sie sich weder den Befürwortern noch den Gegnern der E-Zigarette zurechnen lassen wollen. Ist das eine bewusste Entscheidung?

Ich habe das große Glück, als Wissenschaftler völlig unabhängig arbeiten zu können und erhalte von beiden Seiten keinerlei Zuwendungen. Mein Interesse ist orientiert am gesellschaftlichen Nutzen. Das führt zwangsläufig dazu, dass man weniger schwarz-weiße Bewertungen trifft. Die von Ihnen angesprochene Lagerbildung sehe ich deshalb auch mit Sorge. Man sollte bei den Fakten bleiben und keinen Aspekt ausblenden. Ich kann zum Beispiel verstehen, dass jemand, der mit der E-Zigarette das Rauchen aufhören konnte, etwas betriebsblind ist und sich sehr vehement für das Pro einsetzt. Andersherum ist verständlich, wenn Menschen, die sich stark fürs Nichtrauchen engagieren, sehr skeptisch sind. Aber diese Polarisierung sollte nicht ausschlaggebend für wissenschaftliche Bewertungen und auch die politische Regulierung sein.

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Was könnte endlich klare Erkenntnisse über den langfristigen Schaden von E-Zigaretten bringen? Wo liegen die Vorteile des Dampfens im Vergleich zu anderen Rauchstopp-Methoden? Im Interview mit eGarage gibt Daniel Kotz, Professor am Institut für Allgemeinmedizin der Heinrich Heine Universität Düsseldorf, ausführliche Einblicke in seine langjährige Arbeit, die den Schwerpunkt auf Suchtforschung und klinische Epidemiologie legt.




Die Lagerbildung Pro und Contra E-Zigarette bereitet ihm Sorgen, Wissenschaft und Regulierung müssten sich unabhängig davon machen.

eGarage: Herr Professor Kotz, nach knapp 15 Jahren wissenschaftlicher Arbeit und Forschung zum Thema Sucht – was ist für Sie die wichtigste Erkenntnis?

Prof. Daniel Kotz: Eine Erkenntnis, die sich über die Jahre noch verfestig hat, ist, wie schwierig es wirklich ist, mit dem Rauchen aufzuhören. Und wie wichtig es ist, gute Aufklärung zu leisten und Therapieangebote zu entwickeln, die die Menschen auch erreichen und die Erfolg haben.

Bereits Ihre Doktorarbeit – vor 13 Jahren eingereicht – erforschte Therapiemöglichkeiten für Raucher, die an der schweren Lungenerkrankung COPD leiden.

Genau. COPD wird zu fast 90 Prozent durch Tabakrauch verursacht. Zudem ist die Erkrankung schlimm, sie geht mit Atemnot einher und die Lebensqualität nimmt rapide ab. Für die Betroffenen gibt es eigentlich nur eine sinnvolle Möglichkeit: Mit dem Rauchen aufhören, möglichst sofort, sonst wird es schnell schlimmer. Wir dachten damals, dass wir den Erkrankten mit einem doppelten Ansatz gut helfen können: Sie mit der Erkrankung konfrontieren. Und zweitens begleitend eine optimale Unterstützung mit einem Rauchstopp-Programm und medikamentöser Behandlung.

Das hat aber nicht gut funktioniert?

Nein. Erstaunlicherweise hatte die ausführliche Information über die Erkrankung keinen zusätzlichen Effekt. 90 Prozent der Probanden rauchten nach einem Jahr wieder oder immer noch. Das unterstreicht, wie enorm schwer es für viele Menschen ist, von der Tabakzigarette und der Nikotinsucht loszukommen.

Woran arbeiten Sie im Augenblick?

Ein übergeordnetes Ziel ist, dass die Angebote zur Tabakentwöhnung in Deutschland strukturierter und zahlreicher stattfinden. Insbesondere, dass mehr Patienten, die zum Hausarzt kommen, auch ein Therapieangebot erhalten. Das hat viele Facetten. Wir müssen die Hausärztinnen und Hausärzte besser trainieren, sodass sie das Thema kompetent ansprechen. In vielen Curricula im Medizinstudium taucht das nicht auf, das ändern wir jetzt zum Beispiel an der Universität Düsseldorf. Zweitens: Evidenzbasierte wissenschaftliche Methoden sollten kostenfrei zur Verfügung stehen. Konkret sollten Krankenkassen dafür aufkommen, denn es handelt sich bei der Tabaksucht eindeutig um eine Erkrankung mit erheblichen Folgen.

Die ärztlichen Leitlinien unter anderem für die Behandlung der Tabaksucht sind jüngst überarbeitet worden, Sie waren daran beteiligt. Wie ist aus Ihrer Sicht das Ergebnis im Hinblick auf die E-Zigarette?

Insbesondere bei der E-Zigarette gab es durchaus eine hitzige Debatte, das ist nicht von der Hand zu weisen. Es sind sehr unterschiedliche Meinungen aufeinandergeprallt. Wir haben ja auch schon Entwöhnungstherapien, die sicher und effektiv sind. Eine ganz wichtige Komponente ist die professionelle Beratung, wie zum Beispiel Kurzberatung durch den Hausarzt oder intensive verhaltenstherapeutische Gruppenkurse. Hinzu kommen pharmakologische Präparate, zum Beispiel Nikotinersatzprodukte. Das ist ein Arsenal, das vielen weiterhelfen kann. Es gibt aber auch Menschen, denen dieses Arsenal nicht hilft. Zum Beispiel, weil sie sich Nikotinersatz nicht leisten können oder schlechte Erfahrungen damit gemacht haben. Dann ist es allemal besser, mit der E-Zigarette mit dem Rauchen aufzuhören als es gar nicht zu versuchen. Die E-Zigarette kann helfen, aber entscheidend ist, dass man wirklich auf null Tabakzigaretten kommt. Das ist extrem wichtig.




Was ist aus Ihrer Sicht der Vorteil der E-Zigarette?

Sie kann den Rauchstopp unterstützen; das ist inzwischen auch durch Studien belegt. Letztlich ist sie ähnlich einer Nikotinersatztherapie, in anderen Kleidern und häufig in Eigenregie. Das Nikotin aus der Tabakzigarette wird über einen anderen Weg verabreicht. Vor allem ohne die Verbrennungsgase aus der Tabakzigarette. Wir wissen aber auch: Die E-Zigarette ist nicht völlig schadstofffrei, sondern nur schadstoffreduziert. Es ist also nicht der goldene Weg, aber aus meiner Sicht durchaus ein silberner.

Hat die E-Zigarette eine spezielle Rolle, weil sie dem Rauchen recht nahekommt?

Ja, das ist ein Argument. Die Produkte werden ja in vielen Ländern kaum vom Gesundheitssystem gefördert und werden trotzdem viel genutzt. Mediziner nennen das Phänomen Adhärenz: Die Nutzer halten sich wirklich an ihre Therapie, weil sie es gerne tun. Das führt potenziell auch dazu, dass diese Art Therapie auch lange genug durchgehalten wird und ein Rückfall unwahrscheinlicher wird.

Warum ist die E-Zigarette dabei möglicherweise besonders effektiv?

Neurologisch ergibt es Sinn, dass ein Ersatzprodukt, das auch eine habituelle Komponente, die dem Rauchen ähnelt, bietet, effektiv sein kann. Nikotin wirkt auf Strukturen im Gehirn, die mit Erinnerung und Gedächtnis zusammenhängen. Dutzende Male gibt ein Raucher pro Tag seinem Gehirn einen starken Reiz. Das Gehirn merkt sich, in welchen Situationen das der Fall ist. Erzählungen, dass der Rauchstopp in der Kneipe beim Bier zusammen mit rauchenden Freunden oder beim Karneval gescheitert ist, sind also nicht nur Anekdoten, sondern passen in ein physiologisches Gesamtbild der Tabak- und Nikotinsucht. Der sogenannte Suchtdruck ist in bestimmten Situationen, die das Gehirn erkennt, sehr stark. Die direkte Einsetzbarkeit der E-Zigarette verbunden mit schneller Wirkung und einer haptischen Ähnlichkeit kann diesen Suchtdruck dann möglicherweise besonders effektiv bekämpfen. Wie gesagt: Die Rauchstopp-Therapien sind zwar insgesamt wirksam, aber sie haben dennoch hohe Rückfallraten.

Und die Nachteile der E-Zigarette?

Natürlich ist eine Schwachstelle, dass die E-Zigarette häufig in einen Dauerkonsum mündet. Selbst wenn das Risiko deutlich geringer ist: Das ist schon ein großer Unterschied zu Rauchstopp-Methoden, die in ärztlichen Leitlinien empfohlen werden, bei denen sowohl der Tabak- als auch der Nikotinkonsum vollständig und dauerhaft beendet wird. Ein weiterer Nachteil ist, dass ein Rückfall in einen dualen Konsum von Tabak und E-Zigarette münden kann. Zudem gilt es im Auge zu behalten, ob Jugendliche und junge Erwachsene dauerhaft zum E-Zigaretten- und Nikotinkonsum oder sogar zum Rauchen kommen. Danach sieht es im Moment aber eher nicht aus.

Sie erheben mit der DEBRA-Studie seit 2016 alle zwei Monate repräsentative Daten über die Verbreitung des Rauchens und der E-Zigarette in Deutschland. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

Wir sehen beim Rauchen eine leichte Abwärtstendenz, aber leider lange nicht so stark, wie es wünschenswert und aus meiner Sicht auch nötig wäre. Bei der E-Zigaretten-Nutzung schwanken die Zahlen stark, sind aber kontinuierlich recht niedrig.




Wie entstehen die starken Schwankungen bei der E-Zigarette? Die Werte lagen in den vergangenen Jahren zwischen 0,5 Prozent und 2,6 Prozent.

Bei 2000 Befragten pro Befragungsmonat entspricht ein Prozentpunkt 20 Personen. Es liegt in der Natur der Sache, dass repräsentative Befragungen eine gewisse Schwankungsbreite haben, das ist auch bei Wahlumfragen so. Ist ein Wert sehr niedrig – wie bei der E-Zigaretten-Nutzung – dann ist der Schwankungskorridor relativ gesehen sehr hoch, das lässt sich nicht vermeiden. Deshalb sollte man sich die Werte auch eher langjährig im Mittel anschauen. Da sehen wir bei der E-Zigarette eine sehr kontinuierliche Entwicklung, die Zahlen gehen in der Tendenz sogar eher leicht zurück.

Wird die DEBRA-Studie ohne Enddatum weitergeführt?

Wenn es nach mir ginge: Natürlich. Das sind wichtige Daten, denn der Tabak- und E-Zigaretten-Konsum sollte weiterhin feinmaschig im Blick behalten werden. Es gibt ja auch sehr viel Bewegung. Zum Beispiel kommen nun Nikotin-Pouches, also kleine Säckchen, die man unter die Lippe klemmt, auf den Markt. Und es kommen politische Eingriffe und Gesetzesänderungen, bei denen es wichtig ist, zu verstehen, wie sie sich auswirken auf den Konsum.

Wie sollte die E-Zigarette reguliert werden? Haben Sie die Werbeverbote, die jüngst beschlossen wurden, begrüßt?

Ja, das habe ich. Werbung birgt immer die Gefahr, ein Produkt zu attraktiv erscheinen zu lassen. Gleichzeitig, und das ist mir sehr wichtig, sollte es eine vernünftige wissenschaftliche Aufklärung über die E-Zigarette geben.

Durch staatliche Stellen? Wen haben Sie da im Blick?

Großbritannien macht das aus meiner Sicht recht vorbildlich. Die E-Zigarette sollte – ohne die Gefahren zu bagatellisieren, aber auch unter Nennung der Vorteile – als Option zumindest deutlich wahrnehmbar erwähnt werden. In diesem Bereich könnte beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die BZgA, deutlich aktiver werden. Schließlich gibt es aber auch noch einen dritten, sehr wichtigen Punkt, um die Rauchprävalenz zu senken, der gerade in der Diskussion ist.

Sie meinen Tabaksteuererhöhungen?

Richtig. Inzwischen ist Tabak in Deutschland vergleichsweise günstig. Die Lage ist völlig klar: Höhere Tabaksteuern senken die Verbreitung des Rauchens und sind ein erheblicher Anreiz für Raucher, mit der Tabakzigarette oder anderen Rauchprodukten aufzuhören. Das zeigen viele internationale Beispiele. Wir wissen auch, wie stark man den Preis erhöhen müsste, damit es sich auswirkt. Das geht deutlich über die derzeit diskutierten Steuererhöhungen hinaus.

Auch die E-Zigarette könnte erstmals als Nikotinprodukt besteuert werden. Was halten Sie davon?

Eine evidenzbasierte Besteuerung hätte durchaus meine Sympathien. Das hieße, dass die Steuer in der Tendenz eher niedrig wäre. Wobei das Schadpotenzial noch nicht mit Sicherheit eingeschätzt werden kann. Eine 95-prozentige Schadstoffreduktion bedeutet nicht automatisch eine 95-prozentige Schadensreduktion, das Verhältnis ist nicht immer linear. Auf keinen Fall sollte die E-Zigarette so besteuert werden, dass sie als Alternative zum Tabakrauchen unattraktiv wird.

Wann können wir denn mit Daten und Studien rechnen, die adäquat die Langzeitfolgen des Dampfens abbilden?

Das ist ein wissenschaftlich extrem schwieriges Terrain. Das Grundproblem ist: Viele Studie, die hohes Aufsehen erregen, lassen völlig außer Acht, dass der Großteil der E-Zigaretten-Nutzer direkt vorher geraucht hat. Natürlich sind in dieser Gruppe dann höhere Gesundheitsrisiken zu beobachten als in der Durchschnittsbevölkerung. Das dürfte aber in ganz erheblichem Umfang am vorherigen Tabakkonsum und nicht der E-Zigarette liegen. Hier gab es aus meiner Sicht einige wirklich katastrophal schlecht designte Studien, die in fragwürdige Aussagen mündeten. Hinzu kommt, dass die E-Zigarette ein sehr diverses Produkt ist. Die Risiken können schon von Gerät zu Gerät, von Handhabung zu Handhabung und von Aroma zu Aroma offenbar stark schwanken. Was es bräuchte wäre eine Gruppe, die in ihrem Leben quasi nur E-Zigarette konsumiert, aber nie geraucht hat. Das ist aber eine so verschwindend geringe Minderheit, dass sich damit kaum Feldstudien bestreiten lassen.




Stochern wir also dauerhaft im Nebel?

Eine Möglichkeit ist die Auswertung sehr großer Kohorten. Ein guter Ansatzpunkt in Deutschland ist die NAKO Gesundheitsstudie, die über 200.000 Menschen in Deutschland regelmäßig zu Lebenswandel und Gesundheitsstatus befragt. Dabei wird über Jahre nachverfolgt. Ich plane, diese Daten systematisch auszuwerten. Allerdings ist die erste Nachbefragung noch unterwegs, das kann noch zwei bis drei Jahre dauern und dann startet erst die Analyse. Das ist auch statistisch nicht so einfach und braucht viel Zeit und auch Forschungsmittel.

Im Gespräch mit Ihnen entsteht der Eindruck, dass Sie sich weder den Befürwortern noch den Gegnern der E-Zigarette zurechnen lassen wollen. Ist das eine bewusste Entscheidung?

Ich habe das große Glück, als Wissenschaftler völlig unabhängig arbeiten zu können und erhalte von beiden Seiten keinerlei Zuwendungen. Mein Interesse ist orientiert am gesellschaftlichen Nutzen. Das führt zwangsläufig dazu, dass man weniger schwarz-weiße Bewertungen trifft. Die von Ihnen angesprochene Lagerbildung sehe ich deshalb auch mit Sorge. Man sollte bei den Fakten bleiben und keinen Aspekt ausblenden. Ich kann zum Beispiel verstehen, dass jemand, der mit der E-Zigarette das Rauchen aufhören konnte, etwas betriebsblind ist und sich sehr vehement für das Pro einsetzt. Andersherum ist verständlich, wenn Menschen, die sich stark fürs Nichtrauchen engagieren, sehr skeptisch sind. Aber diese Polarisierung sollte nicht ausschlaggebend für wissenschaftliche Bewertungen und auch die politische Regulierung sein.

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