Degam-Präsident: E-Zigarette zumindest “in Erwägung ziehen”

Wie schafft man es wirklich, Menschen von der Zigarette wegzubekommen? Zum Thema Rauchrisiken und Rauchstopp hat die Ärztezeitung einen hörenswerten Podcast veröffentlicht.




Der Titel lautet: „Rauchstopp – E-Zigaretten oder Kohle?“ Vielleicht bleibt über die ruhigen Tage des Jahres Zeit, sich die 40 Minuten Zwiegespräch anzuhören. Ärztezeitung-Chefredakteur Denis Nößler diskutiert mit Prof. Dr. med. Martin Scherer. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (Degam), also einer der wichtigsten und einflussreichsten Ärztevertreter des Landes.

Eingangs geht es in dem Podcast um die wichtigen „Basics“: Wie viele Menschen rauchen, wie schädlich Rauchen ist, in welchem Zeitraum die Risiken nach dem Rauchstopp sinken. Auch über das Verhältnis zwischen Arzt und Patient und das gemeinsame Gespräch über den Rauchstopp wird ausführlich gesprochen. Und über therapeutische Ansätze, die die Motivation, die letzte Zigarette zu rauchen, steigern sollen.

Dann kommen zunächst Nikotinpflaster und -Kaugummis ins Gespräch. Das „muss einen Platz haben“, sagt Scherer dazu und findet das Angebot vernünftig. Ein Gedankengang dazu wird noch geteilt. In der Medizin sei aber das Konsumieren von Gegenmitteln „nicht immer förderlich“. Verzicht als „aktiver Vorgang“ sei durchaus wünschenswert, macht Scherer deutlich.

Schließlich wird in „frische Evidenz“ eingetaucht. Zwei wissenschaftliche Arbeiten werden besprochen. Die erste Studie beschäftigt sich mit finanziellen Anreizen, die Schwangeren in Großbritannien gegeben wurden. Sie erhielten Geld, bis zu 400 Pfund, wenn sie mit dem Rauchen aufhörten. War das wirksam, akzeptiert, kostengünstig? Ja, „es war wirksam“, lautet die Zusammenfassung von Scherer. Mehr als doppelt so viele Frauen hätten mit dem Rauchen aufgehört, zwölf statt 27 Prozent. Ein Problem, das er bei dem Ansatz sieht: „Müssten wir dann nicht auch jedem Nichtraucher, der gar nicht erst angefangen hat, Geld geben?“

Zum Schluss kommt dann die E-Zigarette zur Sprache. Nößler führt die Diskussion darüber als „umfängliche Debatte“ ein zwischen „Einstiegsdroge“ und „Harm-Reduction“-Ansatz. Unter die Lupe genommen wird eine zum siebten Mal aktualisierte Cochrane-Analyse, über die auch eGarage bereits mehrfach berichtet hat. Sie wertet über viele Studien aus, ob E-Zigaretten beim Rauchstopp helfen können. Nößler fasst etwas flapsig zusammen: „Da kann Cochrane jetzt zeigen auf Basis der Evidenz: Ja, E-Zigarette schafft vier von 100 mehr gegenüber Nikotinersatztherapie weg.“

Und Scherer ergänzt: „Verglichen mit Verhaltenstherapie waren die Raten in der E-Zigarettengruppe ebenfalls höher. Da waren es zwei zusätzliche Personen auf 100, die aufgehört haben in der E-Zigaretten-Gruppe.“

Die Evidenz sei besser geworden im Laufe des Monitorings durch Cochrane: Es seien mehr Studien dazugekommen und auch mehr Studien in guter Qualität. „Wir haben jetzt die 78 Studien drin, wovon zehn ganz okay waren.“ Version vier habe nur 50 Studien umfasst. „Und während man in der früheren Version noch von einer moderarten Wahrscheinlichkeit oder von einer mittelgradigen Evidenz gesprochen hat, dass die E-Zigarette was bringt, würde man jetzt schon von einer höhergradigen Evidenz sprechen.“

Zur Schädlichkeit von E-Zigaretten heißt es allerdings auch von Scherer: „Das ist kein Drops“ – man ist sich einig, dass das Dampfen mit gewissen Gesundheitsrisiken einhergeht.

Was bedeutet das Studienergebnis nun konkret für die Arbeit der Ärzte, will Nößler wissen. Kann man auf Basis dieser Evidenz, die Cochrane gefunden hat, E-Zigaretten als Unterstützungsoption erwägen? „Zumindest sind sie ein wirksames Tool“, also Werkzeug, antwortet er. Sie seien „eine Option in dem gesamten Werkzeugkasten“. Man könne sie zumindest „in Erwägung ziehen“. Er schränkt dann aber auch gleich ein: „Die Domäne der Hausarztpraxis ist jedoch die sprechende Medizin. Das empathische Begleiten, das Erspüren der Veränderungsbereitschaft bis hin zum ‚Motivational Interviewing‘, das ist die Domäne.“

Kein Freifahrtschein von Scherer für die E-Zigarette, fasst Nößler noch einmal jovial zusammen, sondern ein Freifahrtschein fürs Sprechen. „So ist es“, stimmt der Hausarztpräsident zu, kurz bevor das niveauvolle und hörenswerte, wenn auch teils ambivalente Gespräch in die Schlussrunde geht.

Ebenso wie das Jahr 2022, das sich dem Ende zuneigt. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern von eGarage besinnliche Festtage und einen guten Start in ein erfolgreiches und gesundes 2023.